Engagement, Arbeitszeiten und Flexibilität

Beim Thema Engagement, Arbeitszeiten und Flexibilität geht es um den Prozess, Arbeitszeiten festzulegen, darum, wie viel Engagement von einer Person erwartet wird, und wie Organisationen auf wechselnde Anforderungen reagieren.

Eine neue Perspektive

Arbeitszeiten

In traditionellen Hierarchien sind Arbeitszeiten im Arbeitsvertrag festgelegt. Häufig herrscht die grundlegende Angst, dass Menschen, gerade in den unteren Ebenen einer Organisation, ohne Überwachung nicht die Stunden ableisten, für die sie bezahlt werden.

Wenn die Mitarbeiter die Freiheit haben, ihre Arbeitszeiten selbst zu bestimmen und zu vereinbaren, entsteht ein vertrauensvolles Umfeld, das die Mitarbeiter motiviert, die volle Verantwortung für ihre Arbeit zu übernehmen.

Wenn ein Unternehmen noch nicht bereit für Selbstmanagement ist, kann die selbstbestimmte Arbeitszeit ein guter erster Schritt sein. Wenn dieser Ansatz gut funktioniert, führt er zu mehr Vertrauen und Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzten und Untergebenen.

Verpflichtungen

Wenn Kolleginnen in einer Kultur arbeiten, in der es normal und notwendig ist, andere Verpflichtungen in ihrem Leben anzusprechen, stärkt dies die Authentizität und Ganzheitlichkeit am Arbeitsplatz. Offenheit in Bezug auf persönliche Verpflichtungen kann engere Beziehungen zwischen den Kolleginnen aufbauen und zu einer Kultur führen, in der sich die Kollegen gegenseitig unterstützen.

In Not- oder Krisenzeiten, z.B. in der Hochsaison, ist es in Teal-Organisationen üblich, dass die Mitarbeiter freiwillig länger arbeiten, um eine Aufgabe mit Motivation und Stolz zu erfüllen, ihre Kollegen zu unterstützen und dem Sinn der Organisation gute Dienste zu leisten. Jede historische Phase hat eine andere Sichtweise auf Einsatz, Arbeitszeiten und Flexibilität sowie sehr unterschiedliche Praktiken hervorgebracht:

Rote Organisationen

In Roten Organisationen bestimmt die Chefin die Arbeitszeiten jeder Mitarbeiterin. Es gibt keinen formalen Prozess, um Arbeitszeiten festzulegen oder zu überwachen. Die Mitarbeiter gelten als Eigentum der Organisation, es wird vorausgesetzt, dass sie bei Bedarf verfügbar sind.

Bernstein-Organisationen

In Bernstein-Organisationen werden die Arbeitszeiten von den leitenden Angestellten bestimmt und in einem Arbeitsvertrag festgelegt. Sie entscheiden, welche Arbeit zu verrichten ist und wie die Arbeitszeiten überwacht werden.

Orange Organisationen

In Orangen Organisationen fallen die Menschen im Allgemeinen in eines von zwei Lagern. Es gibt diejenigen (oft in handwerklichen Berufen), die eine feste Anzahl von Stunden arbeiten, die sich nach der Stechuhr richten, und diejenigen (oft in Führungspositionen), von denen erwartet wird, dass sie ihre Arbeit unabhängig von den in ihrem Vertrag festgelegten Stunden erledigen.

Grüne Organsationen

In grünen Organisationen herrscht in der Regel eine Kultur der Zusammenarbeit, in der die Mitarbeiterinnen das Recht haben, ihre Arbeitszeiten innerhalb einer festgelegten Struktur selbst zu bestimmen. Flexible Arbeitszeiten werden häufig für Beschäftigte auf niedrigeren Ebenen eingesetzt, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeit mit ihrem restlichen Leben zu vereinbaren. Für diejenigen, deren Rolle es zulässt, ist es eine realistische Option, von zu Hause aus zu arbeiten.

Teal-Organisationen

Oberflächlich betrachtet unterscheiden sich Teal-Organisationen in Bezug auf Engagement, Arbeitszeiten und Flexibilität nicht so sehr von grünen Organisationen. Der Unterschied liegt in der Reife und Kohärenz. Während eine grüne Organisation die oben skizzierten Praktiken vielleicht nur bestimmten Gruppen von Mitarbeitern zur Verfügung stellt, wären diese Praktiken in einer Teal-Organisation auf allen Ebenen ein selbstverständlicher Teil des Arbeitsalltags.

Teal-Organisationen setzen häufig die folgenden allgemeinen Maßnahmen um:

  • Die Arbeitszeiten werden von niemandem kontrolliert oder bestimmt.
  • Den Mitarbeitern wird zugetraut, sich ihre eigenen Ziele zu setzen und so lange zu arbeiten, bis sie diese erreicht haben.
  • Es besteht ein gemeinsames Verständnis dafür, dass der Einzelne zuweilen sein Maß an Engagement anpassen muss. Diese Situationen werden gemeinsam und offen besprochen, damit die anstehenden Aufgaben mit der Unterstützung aller erledigt werden können.

In der Praxis

Teal-Organisationen gehen davon aus, dass Menschen selbst bei Routinearbeiten Stolz empfinden und gute Arbeit leisten wollen. Der Mensch wird konsequent als zuverlässig, selbstmotiviert, vertrauenswürdig und intelligent angesehen.

Engagement

In den meisten traditionellen Unternehmen besteht die unausgesprochene Annahme, dass Menschen in Führungspositionen ihr Engagement für die Arbeit über jede andere Verpflichtung in ihrem Leben stellen sollten. Nur wenige Kollegen würden eine wichtige Sitzung für die Schulaufführung ihres Kindes absagen, oder weil eine gute Freundin Hilfe braucht. In selbstführenden Organisationen wird es als notwendig erachtet, über andere wichtige Verpflichtungen im eigenen Leben zu sprechen, um authentisch und ganzheitlich bei der Arbeit zu sein. Es ist nicht notwendig, vorzugeben, dass die Arbeit immer an erster Stelle steht. Teal-Organisationen halten in regelmäßigen Abständen Meetings ab, bei denen die Kolleginnen besprechen können, wie viel Zeit und Energie sie zu diesem Zeitpunkt in ihrem Leben für die Organisation aufwenden wollen. Da die Kolleginnen offen über ihre anderen Verpflichtungen sprechen, können Lösungen gefunden werden, um sie zu unterstützen und die Arbeit erledigt zu bekommen.

Flexible Arbeitszeiten

In Teal-Organisationen wird den Mitarbeitern zugetraut, so viel zu arbeiten, wie sie brauchen, um ihre jeweiligen Ziele zu erreichen. Es gibt keine Verpflichtung zur Überwachung der Arbeitszeiten, zur Stechuhr oder zur Gleitzeit. In einigen Teal-Organisationen wie FAVI und Sun Hydraulics ist der Arbeitstag immer noch in Schichten eingeteilt, was in etwa der Zeit entspricht, die die Kollegen in der Fertigung verbringen sollen, aber nicht selten kommt es vor, dass eine Maschinenbedienerin die folgende Schicht weiterarbeitet, weil sie weiß, dass die Arbeit noch erledigt werden muss.

In schwierigen Zeiten

Es ist nicht immer einfach, die Bedürfnisse des Einzelnen mit denen der Organisation in Einklang zu bringen. Zum Beispiel gibt es bei Morning Star eine Hochsaison für die Tomatenverarbeitung, in der alle Kräfte gebraucht werden. Wenn jemand seine Arbeitszeit während der Hochsaison reduzieren möchte, wird von ihm erwartet, dass er eine Lösung findet, um die eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten. Diese Erwartung ist die Kehrseite davon, dass es keine Personal- oder Planungsabteilung gibt. Ein Mitarbeiter kann nicht einfach einen Antrag stellen und es jemand anderem überlassen, sich um die Lösung des Problems zu kümmern. Es steht ihm völlig frei, eine Lösung zu finden, aber bis er eine gefunden hat, ist er an seine früheren Verpflichtungen gebunden.

Arbeitszeiten und Teal in der Zukunft

In Zukunft wird es wahrscheinlich so sein, dass je mehr Menschen sich in ihrem Leben für ihren "persönlichen Sinn" engagieren, desto flexibler werden ihre Vereinbarungen mit der Organisation sein. Es wird normal sein, persönliche Verpflichtungen wie Selbstständigkeit, Teilzeitarbeit oder ehrenamtliche Tätigkeiten zu berücksichtigen. Dafür wird keine Genehmigung erforderlich sein. Die Person wird einfach einen Weg finden, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, sie auf einen anderen Kollegen zu übertragen und/oder mit Kollegen zu erkunden, welche neuen Aufgaben und Verpflichtungen sie übernehmen könnte, die einen Mehrwert für die Organisation darstellen.

Häufig gestellte Fragen

Das regelmäßige Meeting zum Austausch persönlicher Verpflichtungen bietet ein Forum, um dies mit den Kolleginnen zu besprechen. Wenn eine Kollegin ihre Arbeitszeit reduzieren möchte, wird von ihr erwartet, dass sie eine Lösung findet, um die eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten. Es steht ihr völlig frei, eine Lösung zu finden, aber bis sie eine gefunden hat, ist sie an ihre früheren Verpflichtungen gebunden. Wenn ein Kollege längerfristig seine Wochenarbeitszeit reduzieren muss, kann dies von der betreffenden Person oder anderen Kollegen im Rahmen eines regelmäßigen Prozesses zur kollegialen Vergütung und zur Festlegung des eigenen Gehalts angesprochen werden.

Konkrete Fälle als Inspiration

Bei Fitzii haben die Mitarbeitenden die Freiheit, überall zu arbeiten, wo es eine Internetverbindung gibt, und die Verantwortung, die Vorteile der persönlichen Kontakte zu nutzen.

Bei Arbeitszeiten und -orten schafft Fitzii eine „Polarität" zwischen Freiheit und Verantwortung. Die Mitarbeitenden können überall arbeiten, wo es eine Internetverbindung gibt (Freiheit). Die Flexibilität wird von Personen sehr geschätzt, die zu Hause produktiv arbeiten können oder gelegentlichen Anforderungen gerecht werden müssen. Ein Mitarbeiter arbeitete beispielsweise eine Woche lang in Miami, um einen kranken Verwandten besuchen zu können. Normalerweise arbeiten die Leute hauptsächlich von zwei Büros aus (Oakville und Toronto in Ontario). Der CEO sagt oft: „Man kann keine Gemeinschaft aufbauen, wenn man keine Zeit miteinander verbringt." Um also persönlich zusammenzukommen, bemühen sich die Mitarbeitenden, dienstags von Oakville und donnerstags von Toronto aus zu arbeiten (Verantwortung). Monatliche Teambesprechungen finden abwechselnd an einem der beiden Standorte statt. Eine jährliche Teamklausur sorgt für intensive strukturierte und unstrukturierte Interaktion.

HolacracyOne nutzt eine regelmäßige Versammlungspraxis für Kollegen, um Verpflichtungen zu teilen und zu diskutieren.

Bei diesen Treffen bpricht das Kollegium darüber, wie viel Zeit und Energie es zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben für den Zweck der Organisation aufwenden möchte. Der Grundgedanke hinter diesen regelmäßigen Treffen ist, dass jeder Einzelne eine bewusste Entscheidung darüber treffen kann, wie viel Zeit und Energie er bereit ist zu investieren. Gleichzeitig gibt die Besprechungspraxis allen Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit, sich bewusst zu machen und anzuerkennen, dass jeder Mensch mehrere Beschäftigungen hat, die ihn interessieren und beleben, und dass jede Person selbst entscheidet, wie viel Zeit und Energie sie einem bestimmten Zweck widmen möchte[1].

Bei Morning Star hat jeder Mitarbeitende eine Arbeitszeitverpflichtung.

Die Arbeitszeitverpflichtung legt fest, wie viele Stunden eine Person in der Haupt- und Nebensaison (wenn die Tomaten geerntet und verarbeitet werden) eingesetzt werden kann. Sie bietet eine klare Grundlage, auf der die Mitarbeitenden ihre Zeit besprechen und verwalten können, während sie gleichzeitig die Ziele der Organisation erfüllen. Die Arbeitszeitverpflichtung wird im CLOU (Colleague Letter of Understanding) festgehalten. Dieser enthält zudem ein persönliches Leitbild und detaillierte Informationen über die Aufgaben, zu denen sich eine Person verpflichtet, sowie über die Verbesserungen, die sie zu erreichen hofft. Diese formellere Art der Erfassung des Engagements kommt dem Bedürfnis von Morning Star nach kontinuierlicher Verbesserung in Sachen Effizienzsteigerung entgegen, da es sich im Wesentlichen um ein Geschäft mit geringer Gewinnspanne handelt.[2]

Bei Buurtzorg trägt die Struktur der kleinen, selbstverwalteten Teams zur Flexibilität bei.

Wenn eine Krankenschwester ihre Arbeitszeit reduzieren möchte, etwa weil sie sich um einen kranken Elternteil kümmern muss, kann das Team zum Beispiel die bestehenden Kunden umschichten. Die Krankenschwester bespricht ihre anderen Verpflichtungen mit ihrem Team, und gemeinsam finden sie eine Lösung, z. B. die vorübergehende Aufnahme weniger neuer Kunden oder die Übertragung der Pflege eines Patienten an eine andere Krankenschwester oder ein anderes Team, falls erforderlich[3].

Bei FAVI gibt es zwar keine Stechuhren, aber die Leute arbeiten im Schichtsystem und müssen ungefähr diese Zeit in der Werkstatt verbringen.

Ein Mitarbeiter von FAVI, der ein Haus bauen ließ, brachte das Thema in seinem Team zur Sprache. Um bei den Bauarbeiten vor Ort sein zu können, wollte er in die Nachtschicht wechseln. Er fragte, ob ein Kollege bereit wäre, für einen Zeitraum von vier Monaten die Schicht zu tauschen. Es wurde schnell eine Lösung gefunden, ohne dass ein formeller HR-Genehmigungsprozess oder die Zustimmung des Managements erforderlich war.[4]

Die Menschen haben die volle Kontrolle über ihre Arbeitszeit

"Die Leute wissen, was ihre Aufgaben sind", erklärt Henry Stewart, der Mitbegründer. "Sie brauchen niemanden, der ihnen sagt, ob sie im Büro sein müssen oder nicht.

"Ich erinnere mich, dass ich vor der Pandemie jemandem das Büro zeigte; er bemerkte, dass nur fünf unserer 25 Mitarbeiter im Büro waren, und fragte, wo die anderen seien. Ich habe keine Ahnung", antwortete ich. Menschen werden nach den Ergebnissen beurteilt, die sie liefern, und nicht danach, wie viel Zeit sie im Büro verbringen."

Es gibt eine Reihe von flexiblen Arbeitszeiten. Einige arbeiten in Teilzeit. Einige arbeiten komprimiert (z. B. die ganze Woche in 4 Tagen). Es gibt keine festen Arbeitszeiten, die Menschen arbeiten, wann sie wollen, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen.

Um das Jahr 2000 wurde der Leitung bewusst, dass unser Verwaltungsteam von 9 Personen flexibler arbeiten wollte. Also legten sie die Bedingungen fest, dass zwei weitere Mitarbeiter täglich von 9 bis 5.30 Uhr im Büro sein sollten, um das Telefon zu beantworten. Die Mitarbeiter entschieden dann selbst, wann sie arbeiten wollten, wobei einige bereits um 6 Uhr morgens kamen (um den Pendelverkehr nach London zu vermeiden) und nicht viele am Freitagnachmittag arbeiteten!

Heutzutage legt nicht mehr die Leitung die Anforderungen fest, sondern das Team tut dies selbst.

Die Entscheidungen darüber, wann die Mitarbeiter anwesend sind und worum es bei den Sitzungen geht, werden nun innerhalb des Teams getroffen.

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Verwandte Themen

    Anmerkungen und Referenzen


    1. Übersetzt aus: Laloux, Frederic. Reinventing Organizations. Nelson Parker (2014), Seite 182 ↩︎

    2. übersetzt aus: Laloux, Frederic. Reinventing Organizations. Nelson Parker (2014), S. 182f. ↩︎

    3. Laloux, Frederic. Reinventing Organizations. Nelson Parker (2014), Seite 183 ↩︎

    4. Übersetzt aus: Laloux, Frederic. Reinventing Organizations. Nelson Parker (2014), S. 183 ↩︎