Oranges Paradigma und Organisationen

Orange Organisationen stehen für den Fortschritt der wissenschaftlichen und industriellen Revolutionen. Die Welt wird als komplexe Maschine betrachtet, deren Innenleben und Naturgesetze erforsch- und nachvollziehbar sind. Diese Sichtweise hat die Menschheit in den letzten zwei Jahrhunderten tiefgreifend verändert und zu einem noch nie dagewesenen Maß an Wohlstand und Lebenserwartung geführt. Das derzeitige Managementdenken, das sich auf Wettbewerb, Innovation und Leistung konzentriert, prägt die Arbeitsweise von orangen Organisationen. Die Führung wechselt von der Befehls- und Kontrollfunktion zur Prognose- und Kontrollfunktion (Management by Objectives). Die Organisation als Maschine ist die vorherrschende Metapher für die orange Weltanschauung. Die meisten großen Unternehmen arbeiten heute nach diesem Paradigma.

Orange Stufe des Bewusstseins

Aus der orangen Perspektive wird die Welt nicht mehr als ein starres Universum mit unveränderlichen Regeln gesehen, sondern als komplexe Maschine, deren Innenleben und Naturgesetze untersucht und nachvollzogen werden können.

Wenn ich schneller, klüger und innovativer als andere darin bin, die Welt zu verstehen und zu manipulieren, dann erlange ich mehr Erfolg, Reichtum, Marktanteile oder was auch immer.

Der Kinderpsychologe Piaget hat zum Verständnis des kognitiven Denkens im orangen Paradigma ein bezeichnendes Experiment gemacht: Man gibt einer Person drei Gläser mit einer klaren Flüssigkeit und sagt ihr, man könne diese so mischen, dass eine gelbe Farbe entstehe. Menschen, deren Denken noch nicht das orange Stadium erreicht hat, fangen einfach an, die Flüssigkeiten wahllos zusammen zu kippen. Diejenigen, die die orange Stufe des Denkens erreicht haben, überlegen zunächst, dass man Glas A mit Glas B, dann A mit C, dann B mit C und so weiter mischen muss. Sie probieren alle verschiedenen Kombinationen nacheinander aus.

Das bedeutet, dass Menschen beginnen, sich verschiedene Welten vorzustellen. "Was wäre, wenn" und "als ob" werden zum ersten Mal (be)greifbar. Alle Arten idealistischer Möglichkeiten eröffnen sich. Mittels dieser kognitiven Fähigkeit kann man Autoritäten, Gruppennormen und den Status quo in Frage stellen. Die „orange Erkenntnis“ hat die Schleusen für wissenschaftliche Untersuchungen, Innovation und Unternehmertum geöffnet.

Die Weltanschauung in diesem Stadium ist materialistisch: Nur das ist real, was man sehen und anfassen kann. Sie misstraut jeder Form von Spiritualität und Transzendenz, da man kaum an etwas glauben kann, was nicht empirisch beweis- oder beobachtbar ist. In dieser materiellen Welt ist „mehr“ gleich „besser“.

Schattenseiten der orangen Entwicklungsstufe

Von einer fortgeschritteneren Stufe aus betrachtet, hat jedes Paradigma seine Schattenseiten. Die des orangen Paradigmas sind kaum zu übersehen: unternehmerische Gier, die kurzfristige Sicht der Politik, Überschuldung, exzessiver Konsum und die rücksichtslose Ausbeutung der Ressourcen und Ökosysteme unseres Planeten.

Ein weiterer Nachteil ist die "durchdrehende Innovation". Da die meisten unserer Grundbedürfnisse befriedigt sind, versuchen die Unternehmen zunehmend, neue Bedürfnisse zu wecken und nähren damit die Illusion, dass mehr Dinge uns glücklich und „vollständig“ machen.

Ein zusätzlicher Schwachpunkt ist die ausschließliche Messung von Erfolg mittels Geld und Anerkennung. Wenn nur noch Wachstum und Gewinne zählen und ein Leben an der Spitze das einzig Wahre ist, spüren Menschen oft nur noch innere Leere.

Dennoch sollte die Befreiung durch diese Phase nicht in den Hintergrund rücken. Die Möglichkeit, Autoritäten in Frage zu stellen, erlaubt uns zum ersten Mal nach der Wahrheit zu suchen – unabhängig von religiösen Dogmen oder politischen Autoritäten. Wir sind nun in der Lage, die Bedingungen, in die wir hineingeboren sind, zu hinterfragen und aus ihnen herauszutreten. Wir können uns von Gedanken und Verhaltensweisen befreien, die uns in früheren Zeiten durch unser Geschlecht und unsere soziale Klasse auferlegt wurden.

Errungenschaften und Merkmale oranger Organisationen

Straßen- und Mafiabanden sind moderne Beispiele für rote Organisationen. Die katholische Kirche, das Militär und das öffentliche Schulsystem sind Archetypen bernsteinfarbener Organisationen. Moderne globale Unternehmen verkörpern orange Organisationen. Bezüglich der Ergebnisse übertreffen bernsteinfarbene Organisationen alles, was rote Organisationen auch nur in Erwägung ziehen könnten.

Orange Organisationen haben dies noch einmal gesteigert und dank dreier zusätzlicher Errungenschaften Ergebnisse völlig neuer Größenordnungen erzielt: Innovation, Verantwortlichkeit und Leistungsorientierung.

Orange Errungenschaft Nr. 1: Innovation

Menschen, die nach dem orangen Paradigma arbeiten, leben in einer Welt der Möglichkeiten. Was nicht ist, kann noch werden. Sie stellen den Status quo in Frage und finden Wege zur Verbesserung. Es überrascht daher nicht, dass die Leitung oranger Organisationen nicht müde wird zu betonen, dass Wandel und Innovation keine Bedrohung, sondern eine Chance darstellen. Orange Organisationen bewahren die hierarchische Pyramide, schaffen aber Abteilungen wie Forschung & Entwicklung, Marketing und Produktmanagement, um Innovationen zu fördern und zu ermöglichen. Projekt- und funktionsübergreifende Teams arbeiten gemeinsam daran, Probleme und Fragen neu zu bewerten.

Orange Errungenschaft Nr. 2: Verantwortlichkeit

Ein subtiler, aber tiefgreifender Wandel erfolgt im Führungs- und Managementstil. Kommando und Kontrolle nach bernsteinfarbenem Paradigma wird im orangen Paradigma zu Prognose und Kontrolle. Um öfter und schneller als andere innovativ zu sein, wird es zum Wettbewerbsvorteil, die kollektive Intelligenz im Unternehmen zu nutzen. Mehr Menschen in der Organisation erhalten Handlungsspielräume sowie die Ermächtigung und das nötige Vertrauen zum Mitdenken und Fällen von Entscheidungen.

Orange Organisationen haben eine Batterie an Anreizsystemen erfunden, um Mitarbeitende zur Zielerreichung zu motivieren. Dazu gehören Leistungsbeurteilungen, Prämiensysteme, Qualitätsauszeichnungen und Aktienoptionen. Oder anders gesagt: Wo bernsteinfarbene Organisationen die Peitsche einsetzen, reichen orange Organisationen Zuckerbrot.

Die Errungenschaften in Sachen Freiheit sind real. Führungskräfte und Mitarbeitende dürfen Kreativität und Talente entfalten und selbst herausfinden, wie sie am besten ihre Ziele erreichen. In der Praxis treibt die Angst vor dem Scheitern Führungskräfte oft dazu, die Kontrolle zu behalten, statt zu delegieren, wodurch die Vorteile der Verteilung von Verantwortung jedoch verloren gehen.

Orange Errungenschaft Nr. 3: Leistungsorientierung

Orange Organisationen sind radikal leistungsorientiert. Niemand muss auf seiner Position verharren. Prinzipiell kann jeder die Karriereleiter hochklettern. Der Junge aus der Poststelle kann CEO werden - auch wenn er weiblich ist oder einer Minderheit angehört. Das orange Paradigma hat das moderne Personalmanagement und eine Reihe an Verfahren und Methoden hervorgebracht – einschließlich Leistungsbeurteilung, Anreizsysteme, Ressourcenplanung, Talentmanagement, Führungskräfteentwicklung und Nachfolgeplanung.

Die historische Bedeutung der Idee der Meritokratie kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Menschen übernehmen heute die Verantwortung für ihre Karrieren und erwarten, alle paar Jahre die Position zu wechseln – entweder innerhalb des Unternehmens oder eben woanders.

Identität wird nicht mehr mit Rang und Titel gleichgesetzt, sondern mit dem Bedürfnis, als kompetent, erfolgreich und bereit für die nächste Beförderung angesehen zu werden.

Orange Metapher: Organisationen als Maschinen

Im orangen Paradigma sind Organisationen Maschinen. Der Ingenieurjargon demonstriert, wie sehr wir diese Metapher verinnerlicht haben. Wir reden von Einheiten und Schichten, Inputs und Outputs, Effizienz und Effektivität, Hebel in Bewegung setzen und Nadeln anstoßen, beschleunigen und bremsen, Probleme abgrenzen und Lösungen skalieren, Informationsfluss und Engpässe, Re-Engineering und Downsizing.

Führungskräfte und Beraterinnen gestalten Organisationen. Menschen sind Ressourcen, die wie Rädchen im Getriebe verzahnt werden müssen. Veränderungen werden geplant, zu Papier gebracht und sorgfältig umgesetzt. Wenn ein Teil der Maschinerie nicht im erwarteten Rhythmus funktioniert, ist vermutlich Zeit für einen "sanften" Eingriff mit der Allzweckwaffe Teambuilding – wie Einspritzen von Öl zum Schmieren der Räder.

Die Maschinenmetapher verdeutlicht auch die dynamische Natur oranger Organisationen (im Gegensatz zu bernsteinfarbenen Organisationen als starre, unveränderliche Regelwerke und Hierarchien). Es gibt Raum für Energie, Kreativität und Innovation. Gleichzeitig weist die Maschinenmetapher darauf hin, dass diese vor Aktivität strotzenden Organisationen im Kern leb- und seelenlos wirken.

Anmerkungen und Referenzen