Vertrieb und Marketing

Dieser Abschnitt befasst sich mit den Vertriebs- und Marketingprozessen in Teal-Organisationen.

Eine neue Perspektive

Ausgehend vom orangen Paradigma haben Unternehmen die Segmentierung der Kundenkreise auf der Grundlage ihrer bewussten und unbewussten Bedürfnisse und Präferenzen sowie ihres Kaufverhaltens sehr gut entwickelt. Mit dem Ziel, die Konkurrenz auszustechen, positionieren sie ihre Produkte und Dienstleistungen sorgfältig für jedes Segment. Dies hat wesentlich zur Innovation in orangen und grünen Organisationen beigetragen. In unseren reifen Märkten jedoch scheinen die Unternehmen zunehmend darauf aus zu sein, neue Bedürfnisse zu wecken, anstatt bestehende zu erfüllen. In diesem Prozess spielen sie oft mit unseren Ängsten und Eitelkeiten: "Kaufe dies, und du wirst dich gut fühlen.“ „Kaufe das, und andere werden dich mögen.“ „Kaufe jenes, und du wirst erfolgreich sein".

Im Gegensatz dazu ist der Teal-Ansatz für das Marketing recht simpel und ergibt sich unmittelbar aus der Zielsetzung der Organisation. Die Unternehmen "hören" einfach auf das, was ihnen als Angebot richtig erscheint. Kundenbefragungen und Fokusgruppen sind hier weniger wichtig. Im Grunde genommen läuft das Marketing auf Folgendes hinaus: Dies ist unser Angebot. Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir das Gefühl, dass es das Beste ist, was wir tun können. Wir hoffen, dass es Ihnen gefallen wird. Paradoxerweise erfüllen Teal-Organisationen ein Bedürfnis nicht, indem sie sich auf den Lärm der Welt einstimmen (Umfragen, Fokusgruppen, Kundensegmentierung), sondern indem sie in sich hineinhören: Auf welches Produkt wären wir wirklich stolz? Welches Produkt würde ein echtes Bedürfnis in der Welt befriedigen? Diese Fragen stellen Mitarbeitende von Teal-Organisationen, um neue Produkte zu definieren. Der Prozess wird eher von Schönheit und Intuition als von Analysen geleitet. [1]

In der Praxis

Wenn sich das Leitmotiv eines Unternehmens von Umsatz, Gewinn und Marktanteil auf seinen Zweck verlagert, ändern sich die Vertriebs- und Marketingmethoden grundlegend.

Vom Zweck definiertes Inside-out-Angebot

In früheren Stadien entwickeln Unternehmen Marketingstrategien, die in hohem Maße auf Kundenanalysen beruhen (Umfragen, Fokusgruppen usw.) – mit dem Ziel, Umsatz, Gewinn, Marktanteil usw. zu steigern, wobei häufig künstliche Bedürfnisse geschaffen werden. Man könnte dies als "Outside-in"-Ansatz bezeichnen. Teal-Organisationen verfolgen einen "Inside Out"-Ansatz, bei dem die Produktentwicklung und die Kommunikation von dem Wunsch geleitet werden, den Zweck der Organisation zu erfüllen. Siehe auch Innovation und Produktentwicklung.

Am Zweck orientiertes Marketing

Da der Zweck bei Teal-Organisationen Vorrang vor Umsatz und Gewinn hat, sind diese Unternehmen mehr daran interessiert, dessen Bedeutung und die Art und Weise, wie sie daran arbeiten, zu vermitteln, als ihr Produkt oder ihre Dienstleistung zu verkaufen. Beispiel von Patagonia siehe unten.

Weniger auf "Konkurrenz" gerichtete Botschaften

Die Kommunikation über das Angebot eines Teal-Unternehmens ist weniger darauf ausgerichtet, Überlegenheit gegenüber der Konkurrenz zu demonstrieren. Wie bereits an anderer Stelle in diesem Wiki erwähnt, betrachten Teal-Organisationen andere, die ein ähnliches Ziel verfolgen, oft als Verbündete und nicht als Konkurrenten. Die Kommunikation konzentriert sich somit eher auf die Bedeutung des Zwecks der Organisation und auf dessen Erfüllung durch das Angebot.

Weniger Investition in Vertriebs- und Marketingabteilungen

In Teal-Organisationen sind die massiven Ressourcen, die in Unternehmen auf früheren Entwicklungsstadien für das Marketing bereitgestellt wurden, weitgehend verschwunden. Oft gibt es nicht einmal traditionelle Vertriebs- und Marketingabteilungen. Die Verantwortung wird im gesamten Unternehmen auf selbstorganisierte Teams mit direktem Kundenkontakt verteilt. Innerhalb von Projektteams gibt es häufig eine Funktion, die direkt mit der Kundschaft in Kontakt steht und für die Kommunikation und die Rückmeldung von Problemen oder Chancen an das Team zuständig ist.

Weniger Verkaufsziele von oben nach unten

In Teal-Organisationen gibt es zwar selbst gesetzte, aber in der Regel keine von oben vorgegebenen Ziele. Solche Vorgaben sind aus mindestens drei Gründen problematisch:

  1. Sie beruhen auf der Annahme, die Zukunft vorhersagen zu können.
  2. Sie können den Fokus vom Ziel ablenken.
  3. Sie können die Fähigkeit, Chancen zu erkennen, einschränken.

Konkrete Fälle als Inspiration

Buurtzorg ist von 4 Mitarbeitern im Jahr 2007 auf 10.000 Mitarbeiter im Jahr 2016 angewachsen, ohne Marketing zu betreiben.

Bei Buurtzorg, einer Organisation mit 10.000 Mitarbeitern, arbeiten nur 45 Personen in der Zentrale und es gibt keine Marketingabteilung. Tatsächlich hat die Organisation seit der Gründung im Jahr 2007 kein herkömmliches Marketing betrieben. Von Anfang an konzentrierte sich Buurtzorg auf die Patienten und auf die Lösung von Problemen.

"Wir glaubten, dass dies ein besseres Ergebnis bringen würde. Wir wollten kein Marketing betreiben und stattdessen kostenlose Werbung machen, wenn die Menschen mit unseren Dienstleistungen zufrieden waren", sagt Jos de Blok. Heute arbeitet Buurtzorg viel daran, enge und echte Beziehungen zu Patienten, verschiedenen Interessengruppen und anderen Menschen aufzubauen, die ein natürliches Interesse an ihren Dienstleistungen haben. Aufgrund des Erfolgs der Organisation gehört dazu auch die Kommunikation mit Medien und Zeitungen, um das Interesse zu wecken, welches durch jahrelange gute Mundpropaganda entstanden ist. "Buurtzorg wird inzwischen mit etwas "Gutem" assoziiert, so dass es für uns heute einfacher ist", sagt Jos de Blok.

Kunden einen liebevollen Gruß schicken.

In einem gemeinsamen Diskussionsprozess stellten die Mitarbeitenden von FAVI fest, dass die Organisation zwei Daseinsberechtigungen und damit zwei grundlegende Ziele hat. Erstens: sinnvolle Arbeit in der Region Hallencourt anbieten, einer ländlichen Gegend in Nordfrankreich, wo es nur wenige gute Arbeitsmöglichkeiten gibt. Zweitens: im Verhältnis zu den Kunden Liebe geben und nehmen. Ja, Liebe, ein Wort, das man in der Geschäftswelt nur selten hört – erst recht nicht im Produktionsumfeld. Bei FAVI hat es eine echte Bedeutung erlangt. Die Mitarbeitenden schicken nicht einfach nur Produkte an ihre Kunden, sondern solche mit Herzblut. Vor einigen Jahren, um die Weihnachtszeit herum, formte ein Mitarbeiter von FAVI aus überschüssigem Messing ein paar kleine Weihnachtsmänner und Rentiere. Er legte die Figuren in die Schachteln mit den fertigen Produkten – so wie Kinder eine Nachricht in eine Flasche stecken, die sie ins Meer werfen in der Hoffnung, dass irgendjemand sie irgendwo findet. Andere Mitarbeitende haben die Idee inzwischen aufgegriffen und legen ihren Sendungen zu beliebigen Zeiten im Jahr Messingfiguren bei als kleine „Liebesbeweise“ für die Menschen an den Fließbändern bei Volkswagen oder Volvo, die die Figuren beim Auspacken der Kartons finden.[2]

Marketing als "Kaufen Sie unser Produkt nicht"?

Während die meisten Marken Marketing einsetzen, um Interessenten in Kunden zu verwandeln, will Patagonia Kunden in Aktivisten verwandeln. Patagonia ist dafür bekannt, dass es ganzseitige Anzeigen mit der Aufschrift "Kaufen Sie diese Jacke nicht" geschaltet hat. Die Anzeigen waren Teil der "Common Threads Partnership". Patagonia geht davon aus, dass viele von uns in den Industrieländern genug Kleidung in ihren Schränken haben, um uns ein Leben lang warm zu halten. Und doch kaufen wir immer wieder neue Kleidung, deren Herstellung umweltschädlich ist und die auf einer Mülldeponie landet. Die Common Threads Partnership setzt sich ernsthaft für die Reduzierung (Herstellung von Kleidung, die länger hält), die Reparatur (Patagonia repariert Kleidung für seine Kunden), die Wiederverwendung (das Unternehmen verkauft Ihre gebrauchte Kleidung auf eBay oder in der Abteilung für getragene Kleidung in seinen Geschäften weiter) und das Recycling (Sie können Ihre alte Kleidung an Patagonia zurückgeben und sie wird recycelt) ein. Wird diese Initiative dem Wachstum von Patagonia auf kurze Sicht schaden? Ja. Jede reparierte und jede wiederverwendete Jacke ist eine weniger gekaufte Jacke. Wird sie langfristig das Wachstum des Unternehmens durch eine höhere Kundentreue steigern? Vielleicht. Aber die Entscheidung von Patagonia wurde nicht von Prognosen und Finanzdaten bestimmt. Das Unternehmen wählte den Weg, den seine Ziele erforderten. Weitere Informationen über den Marketingansatz von Patagonia finden Sie in [The Purpose-Driven Marketer: How Patagonia Uses Storytelling To Turn Consumers Into Activists] (https://www.fastcompany.com/3038557/the-purpose-driven-marketer-how-patagonia-uses-storytelling-to-turn-consume)

Verwandte Themen

    Anmerkungen und Referenzen


    1. Übersetzt aus: Laloux, Frederic (2014-02-09). Reinventing Organizations: A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness (Kindle Locations 4511-4521). Nelson Parker. Kindle Edition. ↩︎

    2. Übersetzt aus: Laloux, Frederic (2014-02-09). Reinventing Organizations: A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness (Kindle Locations 4371-4378). Nelson Parker. Kindle Edition. ↩︎