Budgetierung und Controlling
Organisationen überwachen mit Hilfe von Finanzbudgets die Unternehmensleistung, um die Abläufe zu steuern und festzustellen, wie gut Ziele und Vorgaben erreicht werden. In diesem Abschnitt geht es darum, wie Budgets erstellt und welche Kontrollverfahren eingesetzt werden, um Ergebnisse zu erzielen.
Eine neue Perspektive
Budgetierung kann für ein Unternehmen auf dem Weg zur Teal-Organisation eine der größeren Herausforderungen darstellen. Die Teal-Praxis, aktuelle Bedingungen im Umfeld wahrzunehmen und auf sie zu reagieren, anstatt zu versuchen, sie durch Budgetierung und andere Maßnahmen zu kontrollieren, ist eine deutliche Abweichung vom Vorgehen in orangen oder sogar grünen Organisationen. Aus der Teal-Perspektive kann die Kontrolle, die sich oft aus der Festlegung eines Budgets ergibt, die Fähigkeit der Organisation behindern, Umfeldfaktoren wahrzunehmen und authentisch zu reagieren.
Jede historische Phase hat eine andere Sichtweise auf Budgetierung und Controlling (sofern anwendbar) hervorgebracht und zu sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen geführt:
Rote Organisationen
Budgetierung und Controlling nach heutiger Auffassung wären in roten Organisationen nicht anerkannt. Die Planung ist in der Regel kurzfristiger Natur mit begrenzten Möglichkeiten für eine langfristige Strategie. Der Schwerpunkt liegt auf der Reaktion auf neue Risiken oder Chancen, die genutzt werden können.
Bernsteinfarbene Organisationen
Bernsteinfarbene Organisationen stützen sich auf stabile und reproduzierbare Prozesse. Sie schaffen zudem klar definierte Strukturen und Hierarchien. Zusammengenommen ermöglichen diese Merkmale die Durchführung von Projekten und Plänen in einem weitaus größeren Maßstab als bei roten Organisationen. Durch Planung und Budgetierung werden die Ressourcen bestimmt, die zur Erreichung klar definierter und vorhersehbarer Ziele erforderlich sind. Planung erfolgt von oben nach unten, wobei die Budgets den unteren Ebenen der Organisation vorgegeben werden.
Orange Organisationen
In orangen Organisationen ist die oberste Führungsebene für die Festlegung der Strategie und die Ausrichtung des Unternehmens verantwortlich. Aus diesen Plänen werden Ziele und Vorgaben für die nachgeordneten Ebenen abgeleitet. Manager auf jeder Ebene erstellen die für die Zielerreichung erforderlichen Pläne und Budgets üblicherweise in einem jährlichen Budgetierungsprozess. Die Planung umfasst in der Regel Budgets für Ausgaben (Kostenstellen) und Einnahmen (Profit Center) sowie Investitionsbudgets. Die kaskadierende Weitergabe von Zielen an alle Einheiten und Teams ermöglicht ein Management nach Zielen: Jedes Team hat einen gewissen Spielraum bei der Entscheidung, wie diese Budgetziele erreicht werden sollen – solange sie eingehalten werden.
Budgetierung und Controlling gehen Hand in Hand mit der orangen Managementpraxis "Vorhersage und Kontrolle". Die Jahresbudgets werden in halbjährliche, vierteljährliche oder monatliche Zahlen aufgeschlüsselt. Diese werden dann von der Buchhaltungs- und Finanzabteilung am Ende jeder Periode überprüft, um Ergebnisse und Plan zu vergleichen. Wenn die Ergebnisse hinter den Vorhersagen zurückbleiben, werden die Manager häufig aufgefordert, die Differenz zu erklären und Maßnahmen zur Korrektur zu ergreifen.
Grüne Organisationen
Grüne Organisationen fremdeln mit einer von der Finanzabteilung dominierten Perspektive des Leistungsmanagements. Zwar werden nach wie vor Methoden der "Vorhersage und Kontrolle" angewendet, jedoch andere nicht-finanzielle Messgrößen als ebenso wichtig erachtet (z.B. Mitarbeiterengagement und Kundenzufriedenheit). Die Budgetierung ähnelt der von orangen Organisationen, aber die Maßnahmen sind vielfach breiter gefächert und werden sowohl nach dem Bottom-up- als auch dem Top-down-Ansatz vereinbart.
Teal-Organisationen
Die Herangehensweise von Teal-Organisationen an die Planung und Budgetierung weicht radikal von dem ab, was im traditionellen Managementdenken als beste Methodik gilt. Statt Vorhersagen zu treffen und zu kontrollieren, versuchen Teal-Organisationen so gut wie möglich, ihr Umfeld wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren. Sie arbeiten in der Regel mit vereinfachten Budgets, bei denen Abweichungen eher zu Informations- als zu Kontrollzwecken betrachtet werden. Das Ziel der Budgetierung wird von praktischen Überlegungen bestimmt, wie z.B. der Koordinierung von Ressourcen, der Sicherstellung eines soliden Cashflows und der Gewährleistung, dass finanzielle Verpflichtungen und Verbindlichkeiten gedeckt sind.
In der Praxis
Vereinfachte Budgets ohne Nachverfolgung von Abweichungen
Viele traditionelle Organisationen durchlaufen einen mühsamen jährlichen Budgetierungszyklus, um einen Plan zur Steuerung der Unternehmensleistung zu erstellen.
In Teal-Organisationen werden Budgets nur dann erstellt, wenn eine Prognose für eine wichtige Entscheidung benötigt wird. Zum Beispiel:
- Koordinierung oder Beschaffung von Ressourcen: Bei FAVI beispielsweise erstellen die Teams einmal im Jahr eine grobe monatliche Vorhersage für das kommende Jahr, um Verträge für Rohstoffe zu sichern.
- Solider Cashflow und Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen: Manchmal ist es sinnvoll, ein realistisches Budget aufzustellen, um Probleme vorhersehen und Verpflichtungen erfüllen zu können. Die einzelnen Teams von Buurtzorg tätigen keine nennenswerten Einkäufe oder Investitionen und benötigen daher kein Teambudget. Auf Gruppenebene erstellt Buurtzorg jedoch eine einfache Schätzung des erwarteten Cashflows, die auf ein Blatt Papier passt. So bekommt man ein Gefühl dafür, wie viele neue Teams im kommenden Jahr zusammengestellt werden sollten. Neue Teams können bis zu ein Jahr brauchen, um Break-even zu erreichen. Buurtzorg möchte sicherstellen, dass sie angemessen unterstützt werden und bestehen bleiben können.
In Ermangelung dieser Gründe stellen viele Organisationen fest, dass sie überhaupt kein Budget aufstellen müssen. Sun Hydraulics budgetiert gar nicht, es sei denn, der Vorstand verlangt es. Dann wird auf einer Papierseite ein grobes Budget erstellt.
Prüfung im Kollegenkreis ohne Kontrolle durch das Management
Wenn ein Budget festgelegt ist, gibt es keine Korrekturen von oben. Die von den Teams prognostizierten Zahlen werden zum Budget. Einige Unternehmen halten es für sinnvoll, wenn Teams gegenseitig ihre Budgets prüfen. Im Sinne des Selbstmanagements kann niemand ein Team zwingen, seine Zahlen zu ändern. Bei Morning Star zum Beispiel legen die Abteilungen ihr Budget und ihre Investitionspläne einer Budget-Taskforce vor, die sich aus Freiwilligen aller Bereiche des Unternehmens zusammensetzt. Sie kann die Zahlen prüfen, in Frage stellen sowie Meinungen und Vorschläge dazu einbringen. AES hatte früher ein ähnliches Verfahren.
Keine Ziele von oben nach unten
Teal-Organisationen setzen keine Ziele von oben nach unten. Die Mitarbeitenden im Vertrieb bei FAVI beispielsweise haben keine Zielvorgaben. Aus evolutionärer Perspektive sind Ziele aus mindestens drei Gründen problematisch:
- Sie beruhen auf der Annahme, dass wir die Zukunft vorhersagen können.
- Sie verändern Verhalten durch die Herabsetzung intrinsischer Motivation.
- Sie schränken tendenziell die Fähigkeit zur Wahrnehmung neuer Möglichkeiten ein.
Im Teal-Paradigma ist das Leben komplex. Ereignisse und Umstände ändern sich so schnell, dass eine Zielfestlegung oft nur noch eine Vermutung sein kann. Ein Jahr nach der Zielsetzung bleibt in den meisten Fällen eine willkürliche Zahl übrig – entweder zu leicht zu erreichen und damit bedeutungslos oder so herausfordernd, dass die Mitarbeitenden Abkürzungen nehmen müssen. Beide Umstände schaden dem Unternehmen langfristig.
Zielvorgaben und insbesondere Budget- und Umsatzziele beeinflussen auch unser Verhalten. In vielen Unternehmen geben die Führungskräfte das am Jahresende verbleibende Budget oft für sinnlose Dinge aus, weil sie befürchten, dass ihnen im nächsten Jahr die Mittel gekürzt werden. Ohne Zielvorgaben gibt es diese Spielchen nicht. Die Mitarbeitenden sind frei, auf der Basis ihrer intrinsischen Motivation einfach die bestmögliche Arbeit zu leisten.
In selbstorganisierten Unternehmen können sich die Mitarbeitenden selbst Ziele setzen, wenn sie es für sinnvoll halten (wie z.B. eine Hobbyläuferin, die sich mit Hilfe ehrgeiziger Ziele anspornt). Bei FAVI setzen sich die Mitarbeitenden Zielzeiten für die Bearbeitung ihrer Werkstücke und überwachen so ihre Leistung.
Zielvorgaben bieten Orientierung, wenn sie gut nachvollziehbar sind. Problematisch werden sie, wenn sich die Umstände ändern und die Ziele nicht entsprechend angepasst werden.
Aufgabe des Hangs zur Kontrolle
Vorhersagen sind nur wertvoll in einem kontrollierbaren Umfeld, verlieren jedoch an Bedeutung in einer komplexen, sich schnell verändernden Welt. Budgetierung samt entsprechender Führung ist ein Versuch, die Zukunft vorherzusagen.
Teal-Organisationen finden sich mit der komplexen Welt ab; sie haben verstanden, dass es kaum Patentrezepte geben kann. Eine praktikable, schnell umsetzbare Lösung zu finden, ist weitaus effektiver als auf detaillierte Analysen zu warten und erst dann Maßnahmen zu ergreifen. Wenn neue Informationen hinzukommen, kann eine Entscheidung jederzeit überdacht und nachgebessert werden. Aus dieser Perspektive ist es wenig sinnvoll, Budgets für lange Zeiträume im Voraus zu erstellen und zu versuchen, damit Kontrolle auszuüben.
Unternehmen, die auf diese Weise arbeiten, machen viele rasche Iterationen statt weniger großer Sprünge und kommen so viel schneller ans Ziel. Letztendlich fühlen sich die Menschen paradoxerweise oft sicherer, wenn sie die Illusion der Kontrolle aufgeben und lernen, mit der sich ergebenden Realität zu arbeiten.
Häufig gestellte Fragen
In den meisten Fällen sorgt der Beratungsprozess dafür, dass Ausgaben und Bedarf der Organisation im Einklang stehen. Einer Ausgabe, die aus der Luft gegriffen ist oder das Lieblingsprojekt einer Person finanziert, wird im Beratungsprozess in der Regel nicht stattgegeben. Falls doch, kann eine andere Person einen weiteren Beratungsprozess zwecks Korrektur oder – wenn es bereits zu spät ist – einen Konfliktlösungsprozess einleiten. Ein weiterer Faktor zügelt die Ausgaben: In traditionellen Organisationen messen Manager ihre Bedeutung oft an der Höhe ihres Budgets, kämpfen um dessen Erhöhung und stellen sicher, dass sie das ihnen zugewiesene Budget auch ausgeben. Selbstorganisierte Unternehmen messen ihre Bedeutung nicht an der Höhe ihres Budgets, wodurch unnötige Ausgaben reduziert werden.
Wenn eine Organisation jedoch aus irgendeinem Grunde annimmt, die Ausgaben unter dem halten zu müssen, was im Rahmen des Beratungsprozesses vereinbart wurde (z.B., weil die Organisation knapp bei Kasse ist oder weil es mehr zu nutzende Möglichkeiten gibt als Geld zur Verfügung steht), können im Rahmen eines Budgetprozesses Prioritäten bezüglich der Ausgaben diskutiert und gesetzt werden. In der Praxis können solche Prozesse ähnlich aufgesetzt werden wie die im Rahmen der Budgetierung von Investitionen.
Dann gilt der Grundsatz "Form folgt Funktion": Wenn im Kollegenkreis ein Budget für notwendig erachtet wird, sollte es aufgestellt werden. Wenn eine Produktionslinie ein Kostenbudget für notwendig hält, können die Kollegen es gemeinsam erstellen.
Vor der Erstellung eines solchen Budgets, sollte man sich fragen: Warum brauchen wir es? Oft lautet die Antwort: zur Kostenkontrolle. In vielen Fällen müssen Sie jedoch nicht durch die Budget-Glaskugel in die Zukunft blicken, um Ihre Kosten zu kontrollieren. Es reicht aus, wenn Sie Ihre Kosten nachträglich regelmäßig - beispielsweise jeden Monat - erfassen und überwachen.
Wir sind so sehr an Budgets und die damit verbundene Illusion von Kontrolle gewöhnt, dass wir sie vielfach aus Gewohnheit aufstellen, weil wir uns ohne Budgets „nackt“ fühlen. Die Schlüsselfrage lautet: "Für welche Art von Entscheidung, die wir treffen müssen, brauchen wir ein Budget?". Ein Budget wird nur dann benötigt, wenn es bei Vorhersagen hilft bzw. wenn seine Existenz zu andersartigen Entscheidungen führen würde.
Konkrete Fälle als Inspiration
FAVI hat eine Bottom-up-Planung eingeführt im Vertrauen darauf, dass die Teams realistische Budgetanträge stellen können. Im Konfliktfall lösen Vertretende der einzelnen Teams die Probleme untereinander.
Das traditionelle Vorgehen in Organisationen, so FAVI, besteht darin, fünf Jahre vorauszuschauen und Pläne für das kommende Jahr zu machen. FAVI ist der Meinung, wir sollten wie Landwirte denken: 20 Jahre vorausschauen und nur für den nächsten Tag planen. Man muss weit vorausschauen, um zu entscheiden, welche Obstbäume man setzt oder welche Pflanzen angebaut werden sollen. Aber es macht keinen Sinn, zu Beginn des Jahres den genauen Zeitpunkt der Ernte zu planen. So sehr wir uns auch bemühen, wir können weder das Wetter noch die Pflanzen oder den Boden kontrollieren. Sie alle haben ein Eigenleben, auf das wir keinen Einfluss haben. Ein Landwirt, der sich starr an einen Plan hält, statt die Realität zu erkennen und sich darauf einzustellen, wird schnell hungrig sein.
Bei FAVI stellte man fest, dass es ein Basisbudget braucht, um bestimmte Entscheidungen treffen zu können. Einmal im Jahr erstellt jedes Betriebsteam eine monatliche Umsatz- und Kostenprognose für das kommende Jahr. (FAVI ist nach Kundenteams, z.B. dem Volkswagen-, Volvo-Team usw., und nach Support-Teams, z.B. Gießerei, Wartung usw., organisiert.) Die Zahlen werden addiert, und das Ergebnis gilt als Budget für FAVI insgesamt. Dieses Budget kann dann zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, z.B. zur Bestimmung der Metallmenge, die eingekauft werden soll und für die ein Liefervertrag abgeschlossen werden muss.
Das Budget wird nicht verwendet, um die Leistung zu messen: Es gibt keinen monatlichen Vergleich von SOLL und IST. Die Teams verfolgen einfach ihre monatlichen Zahlen, und wenn die Zahlen nicht zufriedenstellend sind (im Vergleich zum Vormonat, zum Vorjahr oder in einem bestimmten Verhältnis), werden Korrekturmaßnahmen besprochen. In seinem Management-Manifest fasst FAVI das Denken über Budgets in einer provokanten Aussage zusammen: „In der neuen Denkweise wollen wir Geld verdienen, ohne zu wissen wie – im Gegensatz zur alten Denkweise, Geld zu verlieren und genau zu wissen wie." FAVI befindet sich in Privatbesitz und muss externen Aktionären keine Rechenschaft ablegen.
Metriken zur Anpassung der Ausgaben an die Einnahmen
Einige Bereiche des Haushalts sind festgelegt, z. B. Miete, Grundsteuer und Nebenkosten.
Für flexible Bereiche versuchen wir, Kennzahlen zu verwenden, die sich an den Einnahmen orientieren, wie z. B. Trainerkosten, Handbücher, Lebensmittel, Eiscreme. Die Trainerkosten dürften höchstens 35 % der erzielten Einnahmen ausmachen, die anderen Kosten höchstens 15 %, so dass sich ein Nettogewinn von 50 % ergibt.
Im Marketing wird davon ausgegangen, dass jedes ausgegebene Pfund das Fünffache an Einnahmen bringt.
Diese Kennziffern ermöglichen es jedem Einzelnen im Unternehmen, nach diesen Kennzahlen zu arbeiten, ohne dass er eine Genehmigung von oben benötigt.
Das Unternehmen arbeitet zwar mit einer GuV auf der Grundlage des Geschäftsjahres, aber es wird nur sehr wenig Zeit (höchstens eine kurze Sitzung) für die Festlegung des Budgets aufgewendet, da dieses größtenteils auf diesen Kennzahlen basiert.