FAVI

FAVI ist ein mittelständisches französisches Unternehmen, das 1956 gegründet wurde und sich auf Getriebegabeln für Autos und Kupferrotoren spezialisiert hat.

  • C. Manufacturing
  • France
  • 201-500

  • Profit

Teal Praktiken

In einem gemeinsamen Diskussionsprozess stellten die Mitarbeitenden von FAVI fest, dass die Organisation zwei Daseinsberechtigungen und damit zwei grundlegende Ziele hat. Erstens: sinnvolle Arbeit in der Region Hallencourt anbieten, einer ländlichen Gegend in Nordfrankreich, wo es nur wenige gute Arbeitsmöglichkeiten gibt. Zweitens: im Verhältnis zu den Kunden Liebe geben und nehmen. Ja, Liebe, ein Wort, das man in der Geschäftswelt nur selten hört – erst recht nicht im Produktionsumfeld. Bei FAVI hat es eine echte Bedeutung erlangt. Die Mitarbeitenden schicken nicht einfach nur Produkte an ihre Kunden, sondern solche mit Herzblut. Vor einigen Jahren, um die Weihnachtszeit herum, formte ein Mitarbeiter von FAVI aus überschüssigem Messing ein paar kleine Weihnachtsmänner und Rentiere. Er legte die Figuren in die Schachteln mit den fertigen Produkten – so wie Kinder eine Nachricht in eine Flasche stecken, die sie ins Meer werfen in der Hoffnung, dass irgendjemand sie irgendwo findet. Andere Mitarbeitende haben die Idee inzwischen aufgegriffen und legen ihren Sendungen zu beliebigen Zeiten im Jahr Messingfiguren bei als kleine „Liebesbeweise“ für die Menschen an den Fließbändern bei Volkswagen oder Volvo, die die Figuren beim Auspacken der Kartons finden.[1]

Im Werk von FAVI sind mehr als 500 Menschen tätig, die in 21 Teams, den so genannten „Minifabriken" mit jeweils 15 bis 35 Leuten, organisiert sind. Die meisten Teams sind einem bestimmten Kunden oder Kundentypus zugeordnet (Volkswagen-, Audi-, Volvo-Team usw.). Es gibt einige vorgelagerte Produktionsteams (Gießerei, Formenreparatur, Wartung) und Unterstützungsteams (Technik, Qualität, Labor, Verwaltung und Vertriebssupport). Jedes Team organisiert sich selbst. Es gibt kein mittleres Management und praktisch keine Regeln oder Verfahrensvorschriften außer denen, die die Teams selbst festlegen. Die Stabsfunktionen sind fast alle verschwunden. Die früheren Abteilungen für Personalwesen, Planung, Disposition, Technik, Produktion, IT und Einkauf wurden aufgelöst. Ihre Aufgaben wurden von den Teams übernommen, die selbst einstellen, einkaufen, planen und terminieren. Auch die Vertriebsabteilung wurde aufgelöst. Der Kundenbetreuer für Audi ist jetzt Teil des Audi-Teams, so wie die Ansprechpartnerin für Volvo Teil des Volvo-Teams ist. Es gibt keinen Vertriebsleiter über der Kundenbetreuung. In der alten Struktur planten Angestellte in Büros mit Blick auf die Werkshalle im Detail, was die Arbeiter zu tun hatten, bis wann und wie. Jetzt machen diese das selbst und erhalten keine Anweisungen mehr von oben.[2]

Bei FAVI ist die Produktion nach Kunden organisiert. Dadurch wird die Verteilung der Arbeitslast zum wichtigen Thema: Da die Kundenaufträge schwanken, können an einem bestimmten Tag einige Teams zu viel und andere zu wenig Arbeit haben. Statt einen COO oder Einsatzplaner einzustellen, der über die Verteilung der Arbeit auf die Teams entscheidet, wählte FAVI eine organische und elegante Lösung. In regelmäßigen Abständen trifft sich eine Gruppe von Vertreterinnen aus jedem Team für ein paar Minuten. Sie besprechen kurz, welche Teams über- oder unterbesetzt sind. Zurück in ihren Teams bitten sie um Freiwillige, die das Team für eine oder zwei Schichten wechseln. Die Person aus dem Audi-Team könnte zum Beispiel fragen, wer bereit wäre, einen Tag im Volvo-Team zu arbeiten. Dies geschieht organisch und auf freiwilliger Basis. Niemand wird von einer höheren Instanz einem anderen Team zugewiesen.[3]

Als Jean-Francois Zobrist, der CEO von FAVI, vor schwierigen und kritischen Entscheidungen im Unternehmen stand, gab er bereitwillig zu, dass er Hilfe brauchte, um gute Antworten zu finden. Mehr als einmal ging er spontan durch die Werkshalle, bat alle, die Maschinen anzuhalten, stieg auf eine Seifenkiste und teilte sein Problem den Leuten mit, um einen Lösungsweg zu finden.

In Krisenzeiten informierte er alle Mitarbeitenden offen über die Situation und vertraute darauf, dass sie damit umgehen könnten. Infolgedessen hatten die Mitarbeitenden kein trügerisches Sicherheitsgefühl. Jeder, unabhängig vom Rang, konnte die Gelegenheit nutzen, um auf der Basis der Informationen die Auswirkungen zu erahnen und darauf zu reagieren. Aus dem Publikum kamen Fragen und Vorschläge. Gemeinsam wurde ein Weg aus der Krise gefunden.

Bei FAVI fanden früher wöchentliche Besprechungen der Unternehmens- und Teamleitungen aus Vertrieb, Produktion, Wartung, Finanzen, Personal usw. statt. Jetzt werden diese auf Teamebene abgehalten.

Die Teams führen regelmäßig kurze Meetings zwecks Abstimmung und Entscheidungsfindung durch, und zwar wie folgt:

  • eine kurze Planungsbesprechung zu Beginn jeder Schicht
  • eine wöchentliche Auftragsbesprechung mit der Kundenbetreuung
  • ein monatliches Treffen mit offener Agenda.

In der Regel finden keine weiteren terminierten Besprechungen statt. Teamübergreifende Meetings werden bei Bedarf einberufen.

Dieser besondere Einstieg hatte bei FAVI eine bezeichnende Wirkung auf Meetings: Sie nährte eine Stimmung der Möglichkeit und Dankbarkeit, des Feierns und Vertrauens. Die Konzentration auf andere und ihre Leistungen nimmt die Aufmerksamkeit von persönlichen Sorgen, die die Mitglieder möglicherweise in die Sitzung mitbrachten. Nach einigen Jahren wurde diese Methode von den Leuten bei FAVI als langweilig empfunden und daher fallen gelassen. Vielleicht wird sie einst wiederbelebt, vielleicht in anderer Form. Solche Vorgehensweisen entwickeln sich weiter. Sie sollten sich frisch und sinnvoll anfühlen, nicht formell und starr.

FAVI hat die Probezeit für beide Parteien verlängert, um genau zu prüfen, ob die Zusammenarbeit funktioniert.

Bei FAVI, dem französischen Automobilzulieferer, werden alle Ingenieure und Verwaltungsangestellten in der Bedienung von mindestens einer Maschine in der Werkhalle geschult. Dieses Training wird regelmäßig in die Praxis umgesetzt: Sollen Aufträge in Windeseile erledigt werden, kommt es vor, dass alle mit anpacken müssen. Die Angestellten kommen aus den Büroräumen im ersten Stock, um für ein paar Stunden die Maschinen zu bedienen. Das hat einen wunderbar gemeinschaftsfördernden Effekt. Mitarbeitende aus dem technischen und administrativen Bereich arbeiten unter Anleitung der Maschinenführer. Sie erfahren so aus erster Hand, wie schwer die Arbeit an den Maschinen sein kann und wie viel Geschick sie erfordert. Am Ende des Tages, wenn die Aufträge pünktlich ausgeliefert werden, sind alle stolz auf die gemeinsam geleistete Arbeit.

Der Einarbeitungsprozess bei FAVI endet mit einer netten Geste. Neulinge, die in den ersten zwei Monaten alle Schulungsmodule absolviert haben, werden gebeten, einen offenen Brief an ihren unmittelbaren Kollegenkreis zu schreiben. Es gibt keine Anweisungen, worum es in dem Brief gehen soll, so dass die Neuen oft in sich gehen, um herauszufinden, was sie am besten sagen können. Die Briefe sind immer wieder tief berührende Zeugnisse der Dankbarkeit und Freude. Viele Menschen kommen zu FAVI, weil sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Misstrauen und Kontrolle gemacht haben. Der Eintritt in ein Umfeld, in dem sie als vertrauenswürdig angesehen werden und wo ihre Stimme zählt, ist oft eine wegweisende Erfahrung. Viele Maschinenführer schreiben nicht gerne. Die richtigen Worte für einen Brief zu finden, kann sehr mühsam sein. So gleicht diese Praxis einem Ritual, einem Initiationsritus zum Eintritt in die Gemeinschaft.

Das hat einen wunderbar gemeinschaftsfördernden Effekt. Mitarbeitende aus dem technischen und administrativen Bereich arbeiten unter Anleitung der Maschinenführer. Sie erfahren so aus erster Hand, wie schwer die Arbeit an den Maschinen sein kann und wie viel Geschick sie erfordert. Wenn die Aufträge pünktlich ausgeliefert werden, sind alle stolz auf die gemeinsam geleistete Arbeit.

FAVI bietet auch ein Schulungsprogramm für neue Mitarbeitende an. Eine einzige Sitzung reicht jedoch nicht aus, um alte Gewohnheiten zu verlernen und sich neue anzueignen. Die anfänglichen Trainingsmodule werden daher durch in den Alltag integrierte Folgeschulungen und Workshops ergänzt. CEO Jean-François Zobrist leitete für gewöhnlich jeden Freitagmorgen eine einstündige Sitzung, an der jeder teilnehmen konnte, der wollte. Das Thema: Ein genauer Blick auf eines der wichtigsten Organisationsinstrumente von FAVI. (FAVI nennt sie „Fiches“ oder Karteikarten, da sie den Mitarbeitenden in dieser Form zur Verfügung stehen.) Dazu gehören der Zweck der Organisation, die Werte, die Entscheidungsmechanismen und Techniken der „Lean Production“.

Ein Mitarbeiter von FAVI, der ein Haus bauen ließ, brachte das Thema in seinem Team zur Sprache. Um bei den Bauarbeiten vor Ort sein zu können, wollte er in die Nachtschicht wechseln. Er fragte, ob ein Kollege bereit wäre, für einen Zeitraum von vier Monaten die Schicht zu tauschen. Es wurde schnell eine Lösung gefunden, ohne dass ein formeller HR-Genehmigungsprozess oder die Zustimmung des Managements erforderlich war.[4]

Bei FAVI hat jedoch jemand aus dem Team die meisten Führungsaufgaben. Man nennt diese Personen etwas ungeschickt „Teamleitende", was eine hierarchische Stellung und Macht implizieren könnte. FAVI hat festgestellt, dass es am besten funktioniert, wenn sich eine Person frei im Team bewegen kann und nur gelegentlich bei Bedarf eine Maschine bedient. Die Teamleitenden von FAVI fungieren als Coaches für ihre Kollegen, als Clearingstelle für Informationen und als Ansprechpartnerin, wenn eine Koordinierung mit anderen Teams erforderlich ist. Diese Entscheidung birgt jedoch ein Risiko. Verständnis und Akzeptanz von Hierarchie ist kulturell so fest in uns verankert, dass Teamleitende mit der Zeit anfangen könnten, sich wie Chefs zu verhalten und eigenmächtig Entscheidungen zu fällen. Bei FAVI gibt es ein einfaches, aber wirksames Ventil für den Fall, dass jemand zu großen Gefallen an der Macht findet: Die Mitarbeitenden können sich jederzeit entscheiden, das Team zu wechseln. Teamleitende haben keine Möglichkeit, Menschen zu einem Verhalten in ihrem Sinne zu zwingen, und sicherlich auch nicht die Befugnis, Leute ohne weiteres zu entlassen. Wenn sie anfangen, sich autokratisch zu verhalten, können die Mitarbeitenden einfach gehen.

Bei FAVI sind die Vertriebsbeauftragten Teil eines Produktteams, zum Beispiel des Audi-Teams. Niemand gibt ihnen Verkaufsziele vor. Ihre Motivation besteht darin, ihren Kunden gut zu dienen und mit Blick auf die chinesische Konkurrenz die Anzahl der Arbeitsplätze in der Fabrik zu erhalten bzw. zu erhöhen. Für die Kundenbetreuung ist es eine weitaus stärkere Motivation, die Teams mit Arbeit zu versorgen, als es durch die Vertriebsleitung vorgegebene Verkaufsziele je sein könnten. Bei FAVI werden Verkaufsaufträge immer mit Bezug auf Arbeitsplätze und nicht auf Geldbeträge besprochen. Es heißt also nicht „wir haben einen Millionenauftrag", sondern eher „wir haben einen Auftrag mit Arbeit für 10 Personen". Dies steht im Einklang mit dem Ziel der Organisation, Arbeitsplätze in einer Region zu schaffen, in der gute Jobs Mangelware sind.

Übrigens werden den Mitarbeitenden bei FAVI auch keine Produktionsziele vorgegeben. Durch die Rückmeldungen seitens der Kundenbetreuung wissen sie sehr wohl, welchen Einfluss China auf den Markt hat. Die Mitarbeitenden in der Werkshalle setzen sich selbst Zielzeiten für die Bearbeitung ihrer Teile und überwachen ihre Leistung anhand dieser eigenen Vorgaben.

In den 1990er Jahren waren CEO Zobrist und einige Mitarbeitende bei FAVI von der folgenden Idee fasziniert: Gießereien stellen immer Legierungen her, weil reines Kupfer nicht geformt werden kann. Was wäre, wenn FAVI das Unmögliche möglich machte und industrielle Produkte aus 100% reinem Kupfer formen könnte? Man begann zu tüfteln.

Würde es einen Markt für solche Produkte geben? Man hatte keine Ahnung und gab dennoch keine Marktstudie in Auftrag. Reines Kupfer hat einige Eigenschaften wie z.B. elektrische Leitfähigkeit, die Legierungen nicht haben. Eine solche Eigenschaft muss also einen Zweck haben. Was die Mitarbeitenden wirklich begeisterte, war nicht der sich möglicherweise eröffnende Markt. Sie waren begeistert von der Schönheit des scheinbar Unmöglichen: reines Kupfer zu formen.

Nach zwei Jahren der Tüftelei gelang es ihnen. Und wie man es sich vorgestellt hatte, öffnete sich ein Markt von selbst. Rotoren aus reinem Kupfer haben in Elektromotoren interessante Eigenschaften. Dies ist heute ein wichtiges Geschäft für FAVI.[5]

Metallurgen wissen schon lange, dass Kupfer antiseptische Eigenschaften hat. Schade nur, dachte man sich bei FAVI, dass diese Eigenschaft nicht in Produkten genutzt wird. Ein Team begann, an antimikrobiellen Kupfergeräten für Krankenhäuser zu tüfteln. Ein Prototyp zeigte bald vielversprechende Ergebnisse, aber CEO Zobrist störte die Farbe. Die rötliche Farbe des Kupfers erinnerte an Sanatorien aus dem 19. Jahrhundert.

Zobrist fragte das Projektteam, ob sie einen Prototyp mit einer silberfarbenen Legierung herstellen könnten, um ihm den Glanz von rostfreiem Stahl zu verleihen, der mit modernen Geräten verbunden wird. Das Team spottete: Das hatte einfach keinen Sinn. Durch das zusätzliche Material für die Legierung würde das Kupfer seine antiseptischen Eigenschaften verlieren. Zobrist wusste also, dass er keinen guten Grund hatte, darauf zu bestehen. Aber er war von einem tiefen ästhetischen und intuitiven Gespür besessen, dass es sich lohnen würde, die Idee weiterzuverfolgen. Es gelang ihm, das Team zu überzeugen, es auf einen Versuch ankommen zu lassen.

Zur allgemeinen Überraschung und aus bis heute ungeklärten Gründen behielt die silberfarbene Legierung die antiseptischen Eigenschaften des Kupfers nicht nur bei, sondern verstärkte sie sogar. Für FAVI öffnete sich ein neuer Markt.

Das Produktentwicklungsverfahren, mit dem FAVI diesen Durchbruch erzielte, wurde mit dem japanischen Professor Shoji Shiba erarbeitet. Es handelt sich um einen Designprozess, der ausdrücklich Emotion, Schönheit und Intuition mit berücksichtigt[6]

Einmal im Jahr legt jedes Team bei FAVI das Investitionsbudget für das nächste Jahr fest (neue Maschinen, Werkzeuge usw.). In den meisten Unternehmen stellt die Finanzabteilung diese Anträge in Frage. Letztlich entscheidet der Vorstand oder der CEO abteilungsübergreifend, ob mehr Geld in die eine oder andere Richtung fließen soll. Damit öffnen sich Tür und Tor für politische Spielchen. Jeder kämpft um ein größeres Stück des Kuchens. Für das mittlere Management ist die Höhe des Budgets oft ein Maßstab ihres Status. Sie versuchen so gut wie möglich, über alle ihnen zur Verfügung stehenden formellen und informellen Kanäle Einfluss auf die Entscheidungsträger in der Geschäftsleitung zu nehmen.

Bei FAVI gibt es kein mittleres Management, das sich um Budgets streitet, und der Vorstandsvorsitzende Jean-Francois Zobrist weigert sich, die Rolle des Vaters zu spielen, der entscheidet, wie er die Süßigkeiten unter seinen Kindern aufteilt. Die Teams wissen, dass es kein Feilschen geben wird, also nennen sie nicht von vorneherein überhöhte Zahlen, sondern stellen realistische Anträge auf der Grundlage realistischer Bedürfnisse. Wenn die Team-Budgets addiert werden, ergibt sich in den meisten Jahren ein vernünftiges Ergebnis, und alle Pläne erhalten grünes Licht, ohne dass es zu Diskussionen oder Nachfragen kommt. Den Teams wird vertraut, dass sie das Richtige tun. Wenn ein Team sich vergoldete Maschinen besorgte, würden die anderen Teams das schnell merken, und der Gruppendruck würde das Problem von selbst beseitigen. In den Jahren, in denen alle Projekte zusammen das vernünftige Maß überschreiten, bittet der CEO die Teams einfach, sich zusammenzusetzen und ihm einen überarbeiteten Plan vorzulegen. Team-Vertretende kommen zusammen und legen alle Pläne auf den Tisch. Sie sehen sich an, was am wichtigsten ist und was zurückgestellt werden könnte. In ein oder zwei Sitzungen ist das Problem stets geklärt.

Wie bei anderen Rollen auch, werden die traditionellen Aufgaben einer Führungskraft im Bereich Einkauf und Investitionen (Budgetierung, Planung, Kontrolle) auf verschiedene Mitglieder eines Teams verteilt. Ein Mitarbeitender bei FAVI könnte verschiedene Maschinen bedienen, für die Materialbestellung zuständig sein, eine Reihe von Maßnahmen zur kontinuierlichen Verbesserung leiten und für die Einstellung neuer Leute verantwortlich sein.[7]

Das traditionelle Vorgehen in Organisationen, so FAVI, besteht darin, fünf Jahre vorauszuschauen und Pläne für das kommende Jahr zu machen. FAVI ist der Meinung, wir sollten wie Landwirte denken: 20 Jahre vorausschauen und nur für den nächsten Tag planen. Man muss weit vorausschauen, um zu entscheiden, welche Obstbäume man setzt oder welche Pflanzen angebaut werden sollen. Aber es macht keinen Sinn, zu Beginn des Jahres den genauen Zeitpunkt der Ernte zu planen. So sehr wir uns auch bemühen, wir können weder das Wetter noch die Pflanzen oder den Boden kontrollieren. Sie alle haben ein Eigenleben, auf das wir keinen Einfluss haben. Ein Landwirt, der sich starr an einen Plan hält, statt die Realität zu erkennen und sich darauf einzustellen, wird schnell hungrig sein.

Bei FAVI stellte man fest, dass es ein Basisbudget braucht, um bestimmte Entscheidungen treffen zu können. Einmal im Jahr erstellt jedes Betriebsteam eine monatliche Umsatz- und Kostenprognose für das kommende Jahr. (FAVI ist nach Kundenteams, z.B. dem Volkswagen-, Volvo-Team usw., und nach Support-Teams, z.B. Gießerei, Wartung usw., organisiert.) Die Zahlen werden addiert, und das Ergebnis gilt als Budget für FAVI insgesamt. Dieses Budget kann dann zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, z.B. zur Bestimmung der Metallmenge, die eingekauft werden soll und für die ein Liefervertrag abgeschlossen werden muss.

Das Budget wird nicht verwendet, um die Leistung zu messen: Es gibt keinen monatlichen Vergleich von SOLL und IST. Die Teams verfolgen einfach ihre monatlichen Zahlen, und wenn die Zahlen nicht zufriedenstellend sind (im Vergleich zum Vormonat, zum Vorjahr oder in einem bestimmten Verhältnis), werden Korrekturmaßnahmen besprochen. In seinem Management-Manifest fasst FAVI das Denken über Budgets in einer provokanten Aussage zusammen: „In der neuen Denkweise wollen wir Geld verdienen, ohne zu wissen wie – im Gegensatz zur alten Denkweise, Geld zu verlieren und genau zu wissen wie." FAVI befindet sich in Privatbesitz und muss externen Aktionären keine Rechenschaft ablegen.

Es kam häufig vor, dass Zobrist, wenn er bei FAVI vor schwierigen und kritischen Entscheidungen stand, bereitwillig zugab, dass er Hilfe brauchte, um eine gute Antwort zu finden. Spontan ging er durch die Werkshalle und bat alle, die Maschinen anzuhalten. Er stieg auf eine Seifenkiste und teilte allen das Problem mit, um eine Lösung zu finden. Die erste große Krise unter seiner Leitung kam 1990, als die Auftragseingänge für Kraftfahrzeuge infolge des ersten Golfkriegs stark zurückgingen. Die Lagerbestände stapelten sich, und es gab einfach nicht genug Arbeit für die Belegschaft. Kapazitäten und Kosten mussten gesenkt werden.

Es gab nur eine offensichtliche Lösung: Zeitarbeitskräfte entlassen. Aber bei FAVI wurde niemand wirklich als Zeitarbeitskraft angesehen. Aus arbeitsrechtlichen Gründen wurden neue Mitarbeitende 18 Monate lang als Zeitarbeitskräfte eingestellt, bevor ihnen ein fester Vertrag angeboten wurde. Die meisten von ihnen wurden bereits als vollwertige Mitglieder ihrer Teams betrachtet. Mit der Entlassung der Zeitarbeitskräfte würde FAVI seine moralische Verpflichtung ihnen gegenüber aufkündigen und Talente verlieren, in die man investiert hatte, während der Aufschwung vielleicht nur einige Monate später eintreten würde. Mit vielen Fragen und ohne klare Antworten fand sich Zobrist auf der Seifenkiste wieder und teilte sein Dilemma mit allen Mitarbeitenden dieser Schicht (einschließlich den Zeitarbeitskräften, deren Schicksal diskutiert wurde). Die Leute im Publikum riefen ihm Fragen und Vorschläge zu. Ein Arbeiter sagte: „Warum arbeiten wir diesen Monat nicht alle nur drei Wochen und bekommen drei Wochen Lohn, und wir behalten die Zeitarbeiter? Wenn es sein muss, machen wir das Gleiche auch im nächsten Monat." Viele nickten, und der Vorschlag wurde zur Abstimmung gestellt.

Zu Zobrists Überraschung wurde er einstimmig angenommen. Die Mitarbeitenden hatten soeben einer vorübergehenden Lohnkürzung um 25% zugestimmt. In weniger als einer Stunde war das Problem gelöst, und der Maschinenlärm hallte wieder durch die Fabrik. Zobrists Fähigkeit, seine Angst im Zaum zu halten, ebnete den Weg für einen radikal produktiven und konstruktiven Ansatz und zeigte, dass es möglich ist, Mitarbeitende mit einem schwierigen Problem zu konfrontieren und es selbstorganisiert lösen zu lassen.

In den 1980er Jahren und unter den alten Annahmen galten Menschen bei FAVI in Bezug auf die Organisationspraktiken quasi als:

  • Diebe, weil alles in Lagerräumen eingeschlossen war;
  • faul, weil ihre Arbeitszeit kontrolliert und jedes Zuspätkommen bestraft wurde (von jemandem, dem die Gründe dafür gleichgültig waren);
  • unzuverlässig, weil die gesamte Produktion von jemand anderem kontrolliert wurde (der auch nicht sehr zuverlässig gewesen sein muss, weil allgemeine Kontrollmechanismen eingeführt worden waren);
  • nicht intelligent, weil die Abteilung „Fertigungstechnik" für sie dachte.

Hier kommen die neuen Annahmen:

  • Menschen sind grundsätzlich gut (zuverlässig, selbstmotiviert, vertrauenswürdig, intelligent).

  • Es gibt keine Leistung ohne Glücklichsein. Um glücklich sein zu können, müssen wir verantwortlich sein. Um verantwortlich sein zu können, müssen wir verstehen, warum und für wen wir arbeiten, und frei entscheiden können, wie.

  • Die Wertschöpfung findet in der Produktion statt. Die Mitarbeitenden in den Betrieben stellen die Produkte her, der Vorstandsvorsitzende und die Verwaltungsangestellten dienen bestenfalls zu ihrer Unterstützung und sind schlimmstenfalls nur ein Kostenfaktor.

Im Werk von FAVI sind mehr als 500 Mitarbeitende tätig, die in 21 Teams, den so genannten „Minifabriken" mit jeweils 15 bis 35 Leuten, organisiert sind. Die meisten Teams sind einem bestimmten Kunden oder Kundentypus zugeordnet (Volkswagen-, Audi-, Volvo-Team usw.). Es gibt einige vorgelagerte Produktionsteams (Gießerei, Formenreparatur, Wartung) und Unterstützungsteams (Technik, Qualität, Labor, Verwaltung, Vertriebssupport). Jedes Team organisiert sich selbst. Es gibt kein mittleres Management und praktisch keine Regeln oder Verfahrensvorschriften außer denen, die die Teams selbst festlegen.[8]

Zu Beginn seiner Amtszeit als CEO lud Jean-François Zobrist alle Mitarbeitenden des Werks zu einer Sitzung ein, um die Daseinsberechtigung des Unternehmens zu klären. Auslöser war ein Auftrag, der aus heiterem Himmel von einem französischen Automobilhersteller kam. Könnten sie innerhalb eines Jahres nicht nur eine Schaltgabel, sondern ein komplettes Getriebe liefern? Dieser einzige Auftrag wäre größer als das gesamte bisherige Geschäft von FAVI. Viele hielten dies für zu riskant. Zobrist war der Meinung, dass die Entscheidung nicht getroffen werden konnte, ohne den Zweck der Organisation zu hinterfragen. Wie es seinem Stil entsprach, bezog er das gesamte Unternehmen in Sitzungen mit Gruppen von jeweils 15 Personen an Freitagnachmittagen ein. Er erschien zu den Sitzungen ohne Tagesordnung und Ablauf. Er vertraute darauf, dass seine Leute sich in diesen Sitzungen selbst organisieren würden, indem sie bei Bedarf jeden Freitag erneut zusammenkamen, bis sie die grundlegende Frage beantwortet hatten: Was ist unser Zweck?

Nach vielen Diskussionen und als die naheliegenden, aber oberflächlichen Ideen verworfen worden waren, war die Antwort klar und deutlich. FAVI hat zwei Daseinsberechtigungen und grundsätzliche Ziele. Erstens: sinnvolle Arbeit in der Region Hallencourt anbieten, einer ländlichen Gegend in Nordfrankreich, wo es nur wenige gute Arbeitsmöglichkeiten gibt. Zweitens: im Verhältnis zu den Kunden Liebe geben und nehmen.

Bei FAVI hat das Wort Liebe, das man in der Geschäftswelt selten hört, eine echte Bedeutung erlangt. Die Mitarbeitenden schicken nicht einfach nur Produkte an ihre Kunden, sondern solche mit Herzblut. Vor einigen Jahren, um die Weihnachtszeit herum, formte ein Mitarbeiter von FAVI aus überschüssigem Messing ein paar kleine Weihnachtsmänner und Rentiere. Er legte die Figuren in die Schachteln mit den fertigen Produkten – so wie Kinder eine Nachricht in eine Flasche stecken, die sie ins Meer werfen, in der Hoffnung, dass irgendjemand sie irgendwo findet. Andere Mitarbeitende haben die Idee inzwischen aufgegriffen und legen ihren Sendungen zu beliebigen Zeiten im Jahr Messingfiguren bei als kleine „Liebesbeweise“ für die Menschen an den Fließbändern bei Volkswagen oder Volvo, die die Figuren beim Auspacken der Kartons finden.[9]

Wenn CEO Jean-François Zobrist vor kritischen Entscheidungen stand, wandte er sich gerne an die Belegschaft. Mehr als einmal ging er spontan durch die Werkshalle, bat alle, die Maschinen anzuhalten, stieg auf eine Seifenkiste und erzählte von seinem Problem.

Die erste große Krise unter seiner Leitung kam 1990, als die Auftragseingänge infolge des ersten Golfkriegs stark zurückgingen. Es gab einfach nicht genug Arbeit für die Belegschaft. Kapazitäten und Kosten mussten gesenkt werden. Es gab nur eine offensichtliche Lösung: Zeitarbeitskräfte entlassen.

Aber bei FAVI wurde niemand wirklich als Zeitarbeitskraft angesehen. Aus arbeitsrechtlichen Gründen wurden neue Mitarbeitende 18 Monate lang als Zeitarbeitskräfte eingestellt, bevor ihnen ein fester Vertrag angeboten wurde. Die meisten von ihnen wurden bereits als vollwertige Mitglieder ihrer Teams betrachtet. Mit der Entlassung der Zeitarbeitskräfte würde FAVI seine moralische Verpflichtung ihnen gegenüber aufkündigen und Talente verlieren, in die man investiert hatte, während der Aufschwung vielleicht nur einige Monate später eintreten würde.

Mit vielen Fragen und ohne klare Antworten fand sich Zobrist auf der Seifenkiste wieder und teilte sein Dilemma mit allen Mitarbeitenden (einschließlich den Zeitarbeitskräften, deren Schicksal diskutiert wurde). Die Leute im Publikum riefen ihm Fragen und Vorschläge zu. Jemand sagte: „Warum arbeiten wir diesen Monat nicht alle nur drei Wochen und bekommen drei Wochen Lohn, und wir behalten die Zeitarbeiter? Wenn es sein muss, machen wir das Gleiche auch im nächsten Monat."

Viele nickten, der Vorschlag wurde zur Abstimmung gestellt und einstimmig angenommen. Die Mitarbeitenden hatten soeben einer vorübergehenden Lohnkürzung um 25% zugestimmt. In weniger als einer Stunde war das Problem gelöst, und der Maschinenlärm hallte wieder durch die Fabrik.

Im Werk von FAVI sind mehr als 500 Mitarbeitende tätig, die in 21 Teams, den so genannten „Minifabriken" mit jeweils 15 bis 35 Leuten, organisiert sind. Die meisten Teams sind einem bestimmten Kunden oder Kundentypus zugeordnet (Volkswagen-, Audi-, Volvo-Team usw.). Es gibt einige vorgelagerte Produktionsteams (Gießerei, Formenreparatur, Wartung) und Unterstützungsteams (Technik, Qualität, Labor, Verwaltung, Vertriebssupport). Jedes Team organisiert sich selbst. Es gibt kein mittleres Management und praktisch keine Regeln oder Verfahrensvorschriften außer denen, die die Teams selbst festlegen.

Die Stabsfunktionen sind fast alle verschwunden. Die früheren Abteilungen für Personalwesen, Planung, Disposition, Technik, Produktion, IT und Einkauf wurden alle aufgelöst. Ihre Aufgaben wurden von den Teams übernommen, die selbst einstellen, einkaufen, planen und terminieren.

Wenn sich Möglichkeiten ergeben, die die Grenzen mehrerer Teams überschreiten, gründen die FAVI-Mitarbeitenden selbst ein Projektteam. Manchmal wird eine Person mit der Aufgabe betraut, die teamübergreifende Koordination zu übernehmen, aber sie hat keine Entscheidungsbefugnis. Da ist zum Beispiel Denis, ein Ingenieur, dessen Aufgabe darin besteht, den Teams beim Austausch von Erkenntnissen und bewährten Verfahrensweisen zu helfen. Er verbringt seine Zeit damit, Maschinenbediener zu ermutigen, sich anzusehen, was andere Teams entwickelt haben. Er kann ein Team nicht dazu zwingen, die Ideen eines anderen Teams zu übernehmen. Er muss Interesse wecken und begeistern. Wenn ihm das nicht gelingt und die Teams in seiner Arbeit keinen Mehrwert sehen, dann verschwindet seine Rolle natürlich, und Denis muss sich eine neue Aufgabe suchen. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes eine unterstützende Funktion. Dies ist im Produktionsumfeld höchst ungewöhnlich - ein Ingenieur, der im Dienst weniger hoch gebildeter aber qualifizierter Arbeiter steht, ihnen jedoch nicht vorgesetzt ist.[10]

Anmerkungen und Referenzen


  1. Übersetzt aus: Laloux, Frederic (2014-02-09). Reinventing Organizations: A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness (Kindle Locations 4371-4378). Nelson Parker. Kindle Edition. ↩︎

  2. Übersetzt aus: Laloux, Frederic (2014-02-09). Reinventing Organizations: A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness (Kindle Locations 1704-1715). Nelson Parker. Kindle Edition. ↩︎

  3. Übersetzt aus: Laloux, Frederic (2014-02-09). Reinventing Organizations: A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness (Kindle Locations 1766-1772). Nelson Parker. Kindle Edition. ↩︎

  4. Übersetzt aus: Laloux, Frederic. Reinventing Organizations. Nelson Parker (2014), S. 183 ↩︎

  5. Übersetzt aus: Laloux, Frederic. Reinventing Organizations. Nelson Parker (2014), S. 208 ↩︎

  6. Übersetzt aus: Laloux, Frederic. Reinventing Organizations. Nelson Parker (2014), S. 209 ↩︎

  7. Übersetzt aus: Laloux, Frederic. Reinventing Organizations. Nelson Parker (2014), Seite 77ff. ↩︎

  8. Übersetzt aus: Laloux, Frederic (2014-02-09). Reinventing Organizations: A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness (Kindle Locations 1704-1708). Nelson Parker. Kindle Edition. ↩︎

  9. Übersetzt aus: Laloux, Frederic (2014-02-09). Reinventing Organizations: A Guide to Creating Organizations Inspired by the Next Stage of Human Consciousness (Kindle Locations 4363-4378). Nelson Parker. Kindle Edition. ↩︎

  10. Übersetzt aus: Laloux, Frederic. Reinventing Organizations. Nelson Parker, Brüssel, Belgien (2014) ↩︎